„Sense of Space", 2024
Dr. Carl Dörken Galerie, Herdecke
Die Wahrnehmung von Raum
Wahrnehmung von Raum, Raumempfindung, Raumgefühl, die Art und Weise, wie wir das Umfeld um uns herum sinnlich erfassen, sei es ein umbauter Raum wie eine Ausstellungsgalerie, sei es ein Stadtraum oder der weite Landschafts- und Naturraum, diese Fähigkeit Raum wahrzunehmen, sie gehört zu den grundlegenden wie notwendigen Kompetenzen und Existenzerfahrungen menschlichen Lebens. Nicht umsonst hat die Natur uns Menschen, ebenso wie die meisten unserer Mitgeschöpfe aus der Tierwelt, u.a. mit doppelten optischen und akustischen Sinnen ausgestattet, unserem Augen- und Ohrenpaar. Sie versetzen uns überhaupt erst in die Lage, räumlich zu sehen und zu hören und daraus ein räumliches „Bild“ unserer Lebens-Welt zu machen. Wobei zu ergänzen wäre, dass dazu das Gehirn sich selbst zunächst erst mal trainieren muss, um sinnliche Wahrnehmungen als räumliche Eindrücke zu interpretieren und zu speichern.
Das hat seinen tieferen Sinn. Sich in einer räumlichen Situation orientieren und bewegen zu können, ein Territorium zu erforschen und zu nutzen, sich das Lebensumfeld in jeder Hinsicht „anzueignen“, das ist gemeinhin das, was als Kultur-/Zivilisationsprozess beschrieben werden kann. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die damit verbunden sind, wie aus der leidvollen Menschheitsgeschichte bis heute abgelesen werden kann.
Raum zu begreifen und zu definieren, ihn experimentell neu zu entwerfen oder mit ihm zu spielen: all das bewegt sich im Prinzip zwischen 2 Polen. Einerseits das direkte erfahrungsorientierte Durchqueren und Erforschen von Raum, wofür man entsprechende Wegmarken, Pläne, Techniken, Instrumente usw. benötigt. Andererseits der theoretisch-wissenschaftliche Zugriff, etwa über mathematische Berechnungsmodelle bis hin zu Projektionen aller denkbaren Art. Das sind zwei sich gegenseitig beeinflussende bzw. bedingende Möglichkeiten von Raumerfassung und -wahrnehmung im Kontext unserer menschlichen Art der Raumnutzung.
Diese beiden Pole hat vor nicht allzu langer Zeit der Schriftsteller Daniel Kehlmann in seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ sehr anschaulich über zwei berühmte wissenschaftliche Protagonisten des ausgehenden 18. und 19. Jhdts. lebendig werden lassen: Alexander von Humboldt (1769 – 1859), dem geradezu rastlos durch die Welt reisenden Entdecker und Forscher, und seinem Zeitgenossen Carl Friedrich Gauß (1777- 1855), dem großen Mathematiker und technischen Erfinder. Gauß war ein früher Vertreter der sogen. nicht-euklidischen Mathematik, eine Mathematik, mit der man u.a. gekrümmte und andere komplizierte Körperoberflächen bzw. Räume berechnen kann.
Auf der einen Seite die erfahrungsgesättigte, faktisch forschende detailreiche Beschreibung von Räumen, auf der anderen Seite die abstrakte mathematisch-geometrische Berechnung zur Rekonstruktion bzw. Konstruktion von Räumen. Letzteres muss sich nicht nur auf reale, tatsächlich existierende Räume beziehen, wie etwa in der Geologie, Geographie und Kartographie. Es kann auch um fiktionale Räume gehen. Auf beiden Gebieten sind auch die Künste zuhause sind, nicht zuletzt die Malerei. Nehmen wir nur die Zentralperspektive, die Erzeugung eines 3-dimensionalen Illusionsraumes auf einer 2-dimensionalen Fläche. Das ist ein Verfahren, mit dem in Europa seit dem ausgehenden Mittelalter und der Renaissance Künstlerinnen/Künstler uns bis heute im wahrsten Sinne des Wortes die Welt ins Bild setzen. Das können tatsächlich existierende Realitätserscheinungen in hochnaturalistischer Abbildhaftigkeit oder in abstrahierender Skizzenhaftigkeit sein. Das können aber ebenso virtuelle „erfundene“ Räume oder visionäre Welten sein.
Vor diesem hier nur kurz skizzierten Hintergrund hat sich das künstlerische Schaffen von Achim Zeman entwickelt. Seit vielen Jahren geht er der experimentellen Erkundung von Raum, Raumerfahrung, Raumempfindung nach und entführt in der Ausstellung „Sense of Space“ in der Dr. Carl Dörken Galerie in Herdecke die Betrachterinnen und Betrachter in eine beeindruckende wie verblüffende Fülle hochdynamischer visueller räumlicher Illusionen.
Malerei
Zemans Ausgangspunkt ist die Malerei. Wie unschwer zu erkennen, ist es keine illusionistisch abbildhafte Malerei, sondern eine abstrakte Malerei aus komplexen Linienstrukturen und Farbmodulationen. Aber es ist eine Malerei, die sich perspektivischer Darstellungsweisen bedient. Die Ausstellung zeigt erstmals in einer Ausstellung nicht nur einen partiellen Einblick, sondern anhand exemplarischer Werke einen Überblick über die Entwicklung von Zemans künstlerischem Schaffens der letzten 2 Jahrzehnte. Neben der Malerei, großen Wandarbeiten und einer Installation sind erstmals zwei ganz neue, große zeichnerische Arbeiten (2024) zu sehen.
Zeman arbeitet oft in Werkgruppen/-zyklen, also gleichzeitig parallel an mehreren Werken. Das hat einerseits damit zu tun, dass er seine bildnerischen Lösungen immer daraufhin hinterfragt, ob er eine bestimmte Idee bereits ausgeschöpft hat. Oder ob sie nicht doch noch ihm bisher verborgene Optionen enthält, die ihm lohnenswert erscheinen, verfolgt zu werden. Auf diese Weise hat sich sein Werk erstaunlich konsequent entwickelt, obwohl dahinter, zumindest im engeren Sinn, kein zuvor festgelegtes übergeordnetes Konzept oder Programm steht. Was Zemans Arbeit zugrunde liegt, ist aber zweifellos sein geradezu obsessives Interesse an Raum und Bewegung, und das Bestreben, diese dynamischen räumlichen Erfahrungen und Raumempfindungen Bild werden zu lassen. Das ist ein sich Erschließen von Wirklichkeit in der Einheit von Denken, Fühlen und Handeln, wie es der Philosoph und Kulturtheoretiker Ernst Cassirer einmal beschreiben hat. Kunst, so Cassiere, als eine Möglichkeit, wie die Menschheit neben Sprache oder Wissenschaft sich die Welt durch symbolische Formen interpretiert und verfügbar macht.
Das Arbeiten in Werkreihen hat aber auch noch einen anderen Beweggrund: den zum Teil technisch wie zeitlich aufwändigen Herstellungsprozess, der hier kurz umrissen sei. Zunächst wählt Zeman in der Entwurfsphase aus zahlreichen Vorstudien einzelne Linien-Konstruktionen aus, er experimentiert mit verschiedenen Abwandlungen oder Verzerrungen und setzt sie schließlich im zuvor festgelegten Bildformat zu einer lebendigen und zugleich ästhetisch ausgewogenen Komposition neu zusammen.
Die Umsetzung beginnt damit, dass Zeman die vorbereitete Bildfläche mit einer ersten Farbschicht überzieht. Ist sie abgetrocknet, wird sie mit einer Gießharzschicht überdeckt. Gleichzeitig bereitet der Künstler die digitale Kompositionsvorlage programmtechnisch so auf, dass sie von einem Plotter aus einer Folie ausgestanzt werden kann. Diese Folie wird auf das getrocknete Harz aufgebracht und die ausgestanzten Formelemente abgezogen. Die offenen Stellen, z.B. Linien, Flächenformen oder farbige Schattenfugen, werden dann mit einer neuen Farbe übermalt. Nach dem Abtrocknen wird die Restfolie abgezogen, eine neue Gießharzschicht aufgetragen und eine neue Folie aufgezogen. Der Prozess wiederholt sich mehrfach bis zur endgültigen Fassung. Der Ergebnis: abgesehen davon, dass das Volumen und Gewicht der Bilder steigt, strahlen sie eine geheimnisvolle Tiefenräumlichkeit aus, die in ihrer Präzision und fast kühl wirkenden Atmosphäre das mathematisch-technische Moment der Bildkompositionen durchschimmern lässt.
Ähnlich operiert Zeman bei einigen fast panoramaähnlichen Breitformaten auf Acrylglas. Hier hat er mehrere Acrylglasplatten, die jeweils mit langen schmalen blau-grautonigen Farbstreifen bemalt sind, aufeinandergesetzt. Das formal relativ einfache, aber streng durchgehaltene Neben-, Hinter- und Übereinander der horizontalen Streifen erzeugt einen leicht diffusen tiefenräumlichen wie bewegten Gesamteindruck. Man könnte an eine wellige und Licht reflektierende Wasseroberfläche denken, ohne dass die Darstellung zwangsläufig darauf hinausläuft. Wer dabei sich dennoch im weitesten Sinne an das Genre Landschaftsmalerei erinnert fühlt, dem würde Zeman nicht widersprechen.
Ziehen wir in dem Zusammenhang die Titel von Zemanns neueren Werkgruppen mit ein, sie lauten z.B. „Bumpy“ (unruhig, uneben), „Wave“ (Welle) und „Wavy“ (wellig), dann gibt uns der Künstler zweierlei Hinweise: einerseits ganz nüchtern den Grundcharakter der jeweiligen Komposition, andererseits einen Hinweis auf seine realen Wahrnehmungserfahrungen unebener Oberflächenformationen, etwa von Landschaften oder Wasser. Ihre abstrakte Formensprache signalisiert aber unmissverständlich, dass seine künstlerischen Reflexionen nicht die Reproduktion bestimmter Realitätsphänomene verfolgen. Vielmehr zielen die Werke ab auf das grundlegende Verhältnis von Raum und Bewegung als ästhetischem Wahrnehmungsphänomen.
Das veranschaulichen die erwähnten Serien „Bumpy“, „Wave“ bzw. „Wavy“. Während die „Wave“-Serie in ihrem rhythmischen Auf und Ab/Hell-Dunkel noch nachvollziehbar eine waagerechte oder diagonale Hauptausrichtung zeigen, steigert sich die Bewegtheit der Oberfläche in „Bumpy“ zu einem pulsierenden An- und Abschwellen unterschiedlich verzerrter Elemente. Das Volumen der Formgebilde scheint sich zu dehnen, aus dem Bild förmlich hervorzuquellen bzw. gleich wieder ins Bildfeld hinein zu sinken, wie ein atmendes Gebilde. Aber das Ganze folgt keinem regelmäßigen Rhythmus, sondern ist, wie der Titel Bumpy besagt, ein zusehends ungeordnetes Geschehen.
In der Serie „Wavy“ steigert sich die Bewegungsdynamik weiter ins Chaotische. Immer schaffen allein Farbe und Linie diese zunehmende Dynamisierung der dreidimensional wirkenden Formgebilde. Solche unregelmäßigen räumlichen Oberflächenstrukturen zu berechnen bzw. zu konstruieren, das ist das Feld der eingangs erwähnten nichteuklidischen Mathematik / Geometrie. Heute kann man sie mit dem Rechner digital generieren, und das tut auch Zeman.
Zeichnungen
Bei der jüngsten Werkreihe, den vielteiligen Zeichnungen „Espace Mou“ präsentiert uns Zeman ein scheinbar ununterbrochen großes Farbraumereignis aus weich modulierten hell-dunklen Grau- oder orange-gelben Farbwerten. Dieses wolkige Farbgeschehen spielt sich auf zahlreichen gleichgroßen Bildtafeln ab, die sehr präzise im engen Abstand in 3 Reihen übereinander gehängt sind. So entsteht der Eindruck eines Rasters. Kompositorisch sucht das Raster wie eine systematisch ordnende Gegenkraft das sich autonom ausgebreitende Farbgeschehen einzuhegen, ohne es jedoch zu unterbrechen. Wieder arbeitet Zeman mit Farbe und Linie. Letztere ergibt sich hier aber aus dem Zwischenraum zwischen den Tafeln und der dort auftretenden Schattenfuge.
Ein Geschehen auf einer Vielzahl von Tafeln auszubreiten, offenbart noch etwas anderes: So wie jede einzelne Tafel einen Ausschnitt des ganzen Bildtableaus repräsentiert, wirkt das gesamte vielteilige Werk wiederum nur wie ein „Ausschnitt“ eines prinzipiell unendlichen räumlichen Farbgeschehens. Zeman folgt hier dem „all over“ der abstrakten Malerei. Phänomene modellhaft auf einen charakteristischen Ausschnitt oder eine Formel zu verdichten, ist aber nicht nur in der Kunst ein übliches wie sinnstiftendes Verfahren. Das gilt auch für andere Erkenntnisweisen, mit denen wir uns als Menschheit u.a. ein „Bild“ bzw. Verständnis der unfassbaren Totalität von Raum, Welt oder Universum machen.
Und noch etwas ist bemerkenswert. Jede Bildtafel ist für sich eine ganz individuelle Einheit, deutlich unterscheidbar von allen anderen Tafeln. Die Reihung zeigt ja kein serielles rhythmisches Muster immer gleicher Elemente. Vielmehr ergeben die Tafeln ein großes, sich permanent wandelndes Farbereignis. Mit anderen Worten: Nichts bleibt so, wie es der in den einzelnen Tafeln festgehaltene Moment zunächst suggeriert. Alles ist im Fluss, womit Zeman ein Zeitmoment in das Werk einholt. um die oftmals bemühte antike Metapher zu paraphrasieren.
Die Gesamtkomposition zeigt zwar einen Moment raffinierter feiner Ausgewogenheit. Aber die eingeschriebene Bewegungsdynamik deutet auf Wandlung und Veränderung. Darin steckt ein ambivalentes Spannungsmoment. Denn permanente Veränderung garantiert ja keinesfalls einen Wandel in einen wie auch immer gearteten harmonischen Endzustand, so wünschenswert dies auch sein mag. Man denke nur an das Fortschrittsversprechen der technischen Moderne.
In Zemans Zeichnungen ist das Farbgeschehen Ergebnis einfacher Blei-/Buntstift-Schraffuren. Aus der Nahsicht sind die Schraffuren deutlich zu erkennen. Man sieht also, wie der Künstler die grauen oder farbigen Formationen geschaffen hat. Seltsam aber, dass manche Strichlagen diffus erscheinen, als seien sie nur vorläufig und schon wieder dabei, in einem indifferenten Hintergrund zu versinken.
Andere Schraffuren treten dagegen deutlicher hervor, was eine räumlich diffuse Tonigkeit hervorruft. Sie ist, wie in Zemans Gemälden, Folge der spezifischen Bearbeitung der Tafeln. Die untere Lage von Schraffuren hat Zeman mit Gießharz überzogen, das er danach fast vollständig wieder abgeschliffen hat. Damit verleiht er der Zeichnung eine seltsam weiche Unschärfe, über die er die nächsten Schraffuren gelegt hat. Das übereinander Lagern der Schraffuren ist insofern auch als ein Nacheinander zu erkennen und trägt ganz wesentlich zum Eindruck von Bewegungs- und Zeitverlauf bei.
Wandarbeiten und Installation
Im zweiten Raumbereich der Dörken-Galerie konfrontiert Achim Zeman den Besucher mit großen Wandarbeiten und einer eigens für diesen Raum konzipierten Bodeninstallation. Hier überschreitet er den begrenzten Rahmen von Zeichnung und Malerei und lässt sich auf das Abenteuer ein, den realen Raum als Arbeitsfeld für neue künstlerische Interpretationen zu erobern.
Die Wandarbeiten bestehen aus z.T. mehr als 1000 Einzelteilen, konkret aus farbig beschichteten Acrylstücken. Sie werden, wie Zemans Malerei in einem komplexen Arbeitsprozess und mit viel Geduld an die Wände angebracht. Auch hier dienen Folienschablonen zur präzisen Positionierung der einzelnen Formteile und deren dazugesetzten „Farbschatten“. Was zeigen sie? Zeichenhaft abstrahiert dreidimensional wirkende Wirbelformationen aus unterschiedlichen Perspektiven. Dementsprechend benennt Zeman die Wandarbeiten denn auch schlicht „Swirl“. Man kann dabei an Wasserstrudel denken oder an Galaxien im Universum: Beide sind in ihrer Wirbelform Ausdruck des hochgradig spannungsvollen physikalischen Kräfteverhältnisses zwischen dem Anziehungsmoment verdichteter Materien-Masse und hochdynamischen Fliehkräften.
Die Boden-Installation „Infinite expanses“ basiert auf einem anderen Kräfteverhältnis. Zeman hat auf den Galerie-Boden mittels Folie eine kreisförmig ausstrahlende Komposition gesetzt. Dort breiten sich von einem zentralen Punkt scheinbar explosionsartig scharfkantige Formen in alle Richtungen aus. Die Formen sind zweifarbig (orange/schwarz), was sie nicht nur scheinbar dreidimensional, sondern zugleich über dem Boden schweben lässt. Außerdem kippen die Formen in die eine oder andere Richtung, als würden sie verschiedenen Perspektivkonstruktionen folgen.
Ihr Größenwachstum von wenigen Millimetern im Zentrum bis zu mehr als einem halben Meter in der äußeren Zone trägt zum Eindruck hoher Bewegungsdynamik bei. Zusätzlich erzeugt das Größenwachstum den Eindruck großer dreidimensionaler Raumtiefe. Allerdings nicht, wie man vielleicht erwarten würde, nur in der Horizontalen, sondern vor allem in der Vertikalen, in die Tiefe. Es hat den Anschein, als würde der Explosionsimpuls aus einer „bodenlosen“ Tiefe kommen. So wie es der Titel konkret benennt: „Infinite expanses“.
Was passiert hier? Unsere Sinne vermitteln uns disparate Informationen. Unsere Augen sehen einen scheinbar aus undefinierbarer Tiefe kommenden Bewegungs-/Explosionsimpuls. Unsere Füße und unser Gleichgewichts- und Tastsinn signalisieren dagegen die Standfestigkeit des Untergrundes. Unser Hirn ist zumindest für einen kurzen Moment gezwungen zu prüfen und zu entscheiden, was denn nun der Fall ist, welcher Information eher zu vertrauen ist.
Die Bodeninstallation ist Ergebnis von Zemans Auseinandersetzung mit dem sachlich-nüchternen Charakter des Galerieraumes, den die offen sichtbare funktionale Statik aus schlanken Stahlstützen, Deckenbalken sowie die unverputzten Wände ausstrahlen. Nicht zu vergessen das noch erkennbare, auf dem Galerieboden aufgemalte Ordnungsraster zum Aufstellen der Waren-Paletten. All das verweist auf die einstige Funktion des Raumes als Waren- oder Materiallager der Dörken AG.
Zeman hat diese konstruktive Statik des Galerieraumes mit seinem explosiven Motiv förmlich aufgesprengt. Er hat sie jedoch nicht ausgelöscht, sondern bewusst sichtbar belassen. Denn nur so entsteht ein spannungsgeladenes Wechselverhältnis zwischen der ruhenden Statik der vorhandenen Raumarchitektur und der Dynamik der auseinanderdriftenden Farbkörper-Explosion. Man könnte es auch etwas spitzfindig ortsspezifisch interpretieren: das Lager als ein Ort, an dem Dinge für mehr oder weniger begrenzte Zeit abgestellt werden, um schon bald als Fertigware aus dem Werk in alle Welt zu verschickt zu werden.
So wie Zeman die Bodenarbeit „Inifinite expanses“ zusammen mit den „Swirls“ an den Wänden inszeniert hat, liegt es mehr nahe, auch an den „Urknall“ zu denken, den, wie die Astrophysiker versichern, räumlichen wie zeitlichen Ur-Anfang des bis heute sich ausdehnenden Universums. Raum also nicht als statisches, schon immer existierendes gleichbleibendes Phänomen, sondern als eine wachsende oder schrumpfende, in jedem Fall sich verändernde Dimension. Zugegeben eine befremdliche Vorstellung, da sie kaum mit unseren menschlichen, auf die irdischen Gegebenheiten abgestimmten sinnlichen Wahrnehmungs-/ Raumerfahrungen in Einklang gebracht werden können.
Zeman bietet also ein vielschichtiges visuelles ästhetisches Spiel mit Raum und Bewegung, Raumillusionen und Raumirritationen an, ganz im Sinne des Ausstellungstitels „Sense of Space“. In dieser unmittelbaren Sinnlichkeit, die diverse Assoziationen hervorruft, steckt nicht zuletzt ein ästhetisches Unterhaltungsmoment. Typischerweise wird ja der OP Art, an die man bei Zemans Malerei sich erinnert fühlen kann, auch wenn sie, anders als Zeman, vor allem auf visuelle und optische Irritationsphänomene ausgerichtet ist, oft mehr oder weniger eine rein dekorative Unterhaltsamkeit unterstellt.
Unterhaltsamkeit ist aber keinesfalls per se etwas Schlechtes, im Gegenteil. Unterhaltsamkeit wird nur dann banal und „nichtssagend“, wenn sie, wie der Dichter und Theaterautor Bert Brecht einmal zu Recht festgestellt hat, ihres tragenden Inhaltes beraubt wird. Beides zusammenzuführen gibt nach Brecht der Kunst ihre produktive Kraft, weil sie Betrachterinnen und Betrachtern ihren Inhalt faszinierend und verlockend - sprich - unterhaltsam fesselnd nahebringen kann.
Wenn also eingangs die Frage der Raumwahrnehmung und Raumempfindung in ihrer Bedeutung kurz umrissen wurde, dann ging es genau darum, deutlich zu machen, dass Achim Zeman in seinem künstlerischem Schaffen auf sinnlich-ästhetischer Ebene das existentielle Thema „Raum“ in seiner faszinierenden Vielschichtigkeit zur Anschauung bringt. Seine Kunst ist im besten Sinne unterhaltsam. Im Fall der Installation dürfen Besucherinnen und Besucher sie sogar betreten, in und auf ihr herumwandern und dabei beobachten, was sie ggf. auslöst an vielleicht lustvollen Erlebnissen, Erfahrungen und Fragestellungen.
Reinhold Happel