hin und weg | 2021/2022 | Folie | Galerie vorn & oben, Eupen, Belgien

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hin und weg | 2021/2022 | Folie | Galerie vorn & oben, Eupen, Belgien

hin und weg | 2021/2022 | Folie | Galerie vorn & oben, Eupen, Belgien

„hin und weg", 2021/2022

Galerie von und oben, Eupen, Belgien

 

Reisen zur Grenze der Raumerfassung

 

Hin und weg, so der Ausstellungstitel, kann man in zweierlei Weise sein: begeistert von der Opulenz der prägnant glänzenden kleineren mit Dimensionalität und Muster spielenden Arbeiten und zur Bewegung animiert durch die zum begehbaren Bild gewordene Installation aus Klebestreifen, eine Arbeit, die den Raum real einbezieht und in beiden Fällen durch Schichtenbildung in seiner Wirkung verändert.

Achim Zeman, ein in Köln lebender Stuttgarter, ist in Berlin ausgebildet worden bei Kuno Gonschior, einem Künstler, der ihm die OP-Art und die konkrete Kunst nahegebracht hat. Dennoch gehört Achim Zeman eigentlich nur am Rande in diesen Bereich. In seinen Werken sind zwar Mathematik, Lineares und geometrische Grundformen das Basisvokabular, aus dem die Bildwelt sich entwickelt, aber sie hat durch einen Ausdehnungsimpetus nicht diese Strenge von konkreter Kunst, die einem Rhythmus, einem Muster, einer bestimmten Abfolge stringent folgt. Die Präzision und Perfektion der Oberfläche und der Machart wird bei Achim Zeman durch freiere Linien und kompositorische Gewichtungen, die darin auftauchen, hintergangen. Der Künstler plant mit Laylines am Computer, aber vor Ort werden Abweichungen notwendig. Die Umbändelung kann sich als zu engmaschig erweisen und wird im menschlichen Maßstab lockerer oder dichter gestaltet. Da ersetzt der Bildschirm nicht die Raumerfahrung und wie beim Malprozess ergibt sich durch die Realisierung die Wirkungserfahrung mit Konsequenzen für die Formentwicklung.

Der Beginn dieser Ausdrucksform liegt in den kleineren Arbeiten, bei denen eine beidseitige Bearbeitung von Acrylplatten zu Grunde liegt, die dann auch mehrschichtig überlagert und verklebt werden. Hier entwickelt der Künstler die ganze Skala der experimentellen Erprobung von glänzenden und mattgeschliffenen Oberflächen, von einer dickeren Platte und einem mehrschichtigen Aufbau von Platten die vorne und hinten bearbeitet und zusätzlich in Teilen noch angeschliffen sind, so dass die Formwelt darauf - im wesentlichen lineare Züge und Punktereigen - sich in ihrer Tiefenräumlichkeit ausprägen, aber auch verunklären und man nicht genau weiß, wohin das räumlich führen soll. Neben einer großformatigen Arbeit dieses Aufbauschemas wirken die kleineren Arbeiten noch mehr als Bild, statt als Objekt, auch weil sie hinten angeschrägt sind und schwebend vor der Wand gezeigt werden.

In den Lacklasurarbeiten ist die Schichtstruktur auf hauchdünne Überlagerungen subtil reduziert. Neben diesen Modulen aus Balkenlagenstaffelungen oder Punktearrangements gibt es noch Spuren, die freier erscheinen. Sie haben mit einer Eissporthalle zu tun, wo ein Weltmeister im Eiskunstlauf bestimmte Figuren (Walzer, Rittberger) mit seinen Kufen als Idealbewegung im Eis vollführt hat und so in der Eisfläche Spuren eingegraben hat, durch Sprünge unterbrochene lineare Flüsse, anders als die Fußabdrücke, die man als Aufzeichnung von Tanzschritten kennt. Diese Schlieren hat Achim Zeman dann für verschiedene Tänze unterschiedlich gefärbt. In Schichtung von Farbgebung der Kratzer und darauf geschüttetem Wasser, das schützend gefror, bildeten sich Verlaufslinien. Das führte spätere Besucher zu Versuchen, diese perfekte Vorgabe nachzuahmen, was nie so richtig klappte. Ebenso verführt auch der untere Raum dazu, den Spuren der Installation zu folgen. Bei der Erstellung seiner zahlreichen Raumbeklebungsinstallationen geht Achim Zeman zunächst planerisch ganz mathematisch vor, schaut sich den Raum an, überlegt, was er für eine Raumhülle vorfindet, was dort unter dem Gestaltungsgesichtspunkt Linie oder Punkt passen würde, welche Farbe unterstützend wirkt. In Eupen gab es zunächst ein lineares Konzept mit einen roten Streifen, der den Raum umspannt. Zu dem Aspekt einer der Wandmalerei nahen Umhüllung des Raumes durch die Überlagerung der Linien kam dann auch eine Überlappung mit Nebenräumen. Dorthin findet ein Hinleiten durch Zuspitzung von Linien und ein Begleiten von Linien beim Durchschreiten statt, die vom Eingang aus geleiten und lenken. Dabei wird über die Bande der Raumkanten gespielt (hin und weg), aber man kann dem Lineament folgen. Dann stellt sich heraus, dass die Linie an der Wand, die er oberflächenbestimmt betont, weil er Maler ist, nicht einfach ein addierter Fremdkörper ist, den man separat wahrnimmt. Es zeigen sich verschränkte Linien, das Auge muss sich dauernd neu sortieren, neu aufstellen und kann auf keine alten Muster zurückgreifen. Neben der Wand geht es auch um die Betonung des Raumes, wofür eine einzelne Linie zu wenig ist. So hat Achim Zeman eine Schattenlinie zugefügt, die nur eine scheinbare ist, weil der schwarze Begleitstrich keine Schatten aus einer Richtung illusioniert, sondern aus verschiedenen Richtungen läuft und gar nicht einheitlich ist, weil man auch keine einheitliche Lichtquelle hat. Er ist ein Symbol für das Denkschema Schatten, bzw. Plastizität im Raum. Hier löst sich die Wanddarstellung auf in Multiperspektivität. Nun kommen noch weiße Linien hinzu, die man nur suggeriert sieht, denn sie leben von strichdicken Durchbrechungen der roten und schwarzen Linien. Diese Lücken lassen die Linien plötzlich punktuell als plastisch im Raum erscheinen. Plötzlich wird durch diesen Wahrnehmungshinweis die weiße Fläche der Wand, die den Raum markiert, mit in die Arbeit hineingezogen. Es hängt also nichts bildhaftes an der Wand, sondern der ganze Raum wird das Bild, miteinander verwachsen, und man ist auch noch selber darin verortet. Das ist die gewollte Wirkung, die dann zu einer Art Orientierungsirritation führt und darüber wieder deutlich spürbar macht, wie wir wahrnehmen, wie wir gucken und was wir verfolgen. Die Wirkung des Raumes erschließt sich leichter durch Einzelne, die sich dieser Erfahrung aussetzen. Mit Vielen wird das Lineament zur Kulisse, geht die Wirkung verloren. In diesem Falle hat Achim Zeman nicht, wie in anderen Projekten, die er auf Tafeln präsentiert (z.B. Galerie Lausberg), nur die Seiten bespielt, sondern auch Decke und Boden. Jeder Raum hat andere Bedingungen. Hier schließen vor die Fenster gestellte Stellwände die Raumhülle dichter ab, werden die Unterzüge der Decke freigelassen, müssen die Beleuchtungskörper integriert werden, ohne Störfaktor zu sein. Von seinen Projekten existieren Fotos, die noch die Suggestion erhöhen, während das reale Raumerlebnis das nicht ganz so hergibt. Im Normalfall bewegt man sich ja. Wenn man die Augen festsetzt, kann ein einzelnes Auge nicht entscheiden, kommt ein Ball auf mich zu oder wird ein Luftballon aufgeblasen. Dies Wissen entstammt den Experimenten der frühen Wahrnehmungspsychologie. Im Alltag aber bewegt man sich kontrollierend. Daher sieht man nur drei Tischbeine, weiß aber, dass es noch ein viertes gibt, weil man schon einmal herumgegangen ist. Das heißt nach neueren Erkenntnissen, man sieht den Tisch in der Zusammenstellung aller Beobachtungsdaten. Das ergibt das wissensangereicherte Bild vom vollständigen Tisch im Kopf, abgerufen durch Segmente davon. Genau so geht man daher in den Raum, schaut sich einzelne Wandsegmente an, verfolgt Linien, sieht, wie sie verlaufen, wo sie sich wenden, wohin sie fluchten. Es erweisen sich Linien als neu angesetzt und unterbrochen. Man bekommt es nicht auf die Reihe im Fokussieren. Erst wenn man rausgeht, bildet sich ein Gesamtbild vom Konglomerat, das aber keine Schlüssigkeit im räumlich perspektivischen Sinne hat, sondern eine Raumerfahrung bildhaft ermöglicht. All diese Partikel vervollständigt man zu einem Eindruck, den man räumlich abstrahiert, da er einen umgibt und nicht vollständig erfassbar ist, allerdings als Gedankenkonstrukt, wie von außen betrachtet. Es erscheint wie ein eingestelltes diaphanes Gerüst und hat nicht den Effekt von Gefängnisgittern, in die man rundum eingeschlossen wäre, da Boden und Decke einbezogen sind. Kein Käfig, sondern ein freies offenes Gefüge umgibt einen. Die Struktur der Raumhülle, ihre Materialität und Ausdehnung wird sichtbar, es geht nicht allein um einen White-Cube als Präsentationsraum. Ohne Fix- und Fluchtpunkte steht man in der überarbeiteten Sphärenhaut des Raumes.

Die Wahrnehmung von Raum, das Menschsein im Raum wird thematisiert und spürbar, da es kein konkretes Gegenüber gibt, von dem man sich absetzen kann. Man ist Teil des Ganzen mit Distanzverlust. Es ist ein Möglichkeitsraum, ein Erfahrungsexperiment, das vielleicht zu einer neuen, nicht üblichen Sehweise führt, die sich dann wieder auf den Alltag übertragen lässt, um die Umgebung mit anderen Augen zu sehen und Nutzen daraus zu ziehen. Was konkrete Kunst kann, ist die Verfeinerung der Sinne, die Wachheit des Geistes und die Heiterkeit des Gemüts zu aktivieren und zu steigern. Pure Wahrnehmung nicht allein mit optischen Effekten, staunenswert flirrenden Oberflächen oder Raumillusionen entsteht. Diese Bildwelten fordern Langsamkeit ein, geben aber durch die fluchtenden Linien Hinweise auf Geschwindigkeit und Ausdehnung in einen unbestimmten Raum. Gleichwohl sind die Flächen kompositorisch ausgefeilt ins dynamische Gleichgewicht gebracht, von klarer intensiver Bildhaftigkeit, von hohem materiellen und ästhetischen Reiz durch Präzision und Planung.

Punkte werden zu wallenden und verzerrten Ovalen, schützen Wölbungen vor, die Bearbeitungsweisen rufen unterschiedliche Raumausdehnungen und Atmosphären hervor und aus der schrillfremden Farbigkeit und der Schlichtheit der Formkörper entwickeln sich Reisebegleiter auf dem Weg zu puren und konzentriert in den Blick genommenen Raumerfahrungen jenseits realistischer Kulissen und Alltagsgewohnheiten, die dies Erleben sonst überlagern.

 

Dirk Tölke

 

 

Alle Fotos von Peter Hinschläger, Aachen

 

 



"hin und weg (Swept away and back again)", 2021/22

Gallery vorn und oben, Eupen, Belgium

 

Travelling to the limit of spatial capture

 

You can be swept away in two ways: thrilled by the opulence of the incisively shiny smaller works that play with dimensionality and pattern and animated to move by the installation of adhesive strips that has become a walk-in picture, a work that incorporates the space in a real way and in both instances changes its effect through layering.

Achim Zeman, a native of Stuttgart residing in Cologne, trained in Berlin with Kuno Gonschior, an artist who introduced him to OP-Art and concrete art. Nevertheless, Achim Zeman actually belongs only marginally to this field. In his works, mathematics, linearity and basic geometric forms are the basic vocabulary from which the pictorial world develops, but due to an expansive impulse, do not contain the rigour of concrete art, which stringently follows a rhythm, a pattern, a certain sequence. In Achim Zeman’s work, the precision and perfection of the surface and the way it is made is deceived by freer lines and compositional weightings that emerge in them. The artist plans with lay-lines on the computer, but on site, deviations become necessary. The bordering can prove to be too tight and is made looser or denser on a human scale. Here, the screen cannot replace the experience of space and, as in the painting process, its realisation results in the experience of effect with consequences for the development of form.

The beginning of this form of expression lies in the smaller works, which are based on the processing of acrylic plates on both sides that are then overlaid and glued in several layers. Here the artist develops an entire scale of experimental testing of glossy and matt-sanded surfaces, of a thicker panel and multi-layered structure of panels that are worked on at the front and back and also sanded in parts, to make the world of forms on them - essentially linear features and dotted tiers - become pronounced in their depth-spatiality, but also obscured thus making it difficult to know precisely where this is supposed to lead spatially. Next to the large-format work of such a construction scheme, the smaller works seem far more like a picture than an object, due to being bevelled at the back and shown floating in front of the wall.

In the lacquer glaze works, the layer structure is subtly reduced to wafer-thin overlays. In addition to these modules of bar-layer staggerings or dot arrangements, there are traces that appear freer. They refer to an ice rink in which a world champion figure skater has performed certain figures (waltz, Rittberger) with his skates as an ideal movement in the ice and in so doing has carved traces in the ice surface, linear flows interrupted by jumps, as opposed to the footprints familiar to us as a record of dance steps. Achim Zeman then coloured these streaks differently for the different dances. By layering the colouring of the scratches and pouring water on top of them, protectively freezing them, gradient lines are formed. This led subsequent visitors to try to imitate this perfect pattern, which never really worked out. Likewise, the lower room tempts visitors to follow the traces of the installation. When creating his numerous room covering installations, Achim Zeman first takes a completely mathematical approach to planning, looks at the room, considers what kind of room surface he finds, what would fit there from the design point of view of line or point, which colour would have a supporting effect. In Eupen, there was initially a linear concept with a red stripe that spanned the room. In addition to the aspect of a mural-like envelopment of the room through the overlapping of the lines, there was also an overlapping with adjoining rooms. There is a guiding towards it through the sharpening of lines and an accompanying of lines as they pass through, guiding and directing from the entrance. In the process, the edges of the space are played over (back and forth), but one can follow the lineament. Then it turns out that the line on the wall (which being a painter, is emphasised as surface-determined) is not simply an added foreign body to be perceived separately. Intertwined lines appear, the eye has to constantly re-sort, re-position itself and cannot fall back on any old patterns. Aside from the wall, it is also focuses on emphasising the space, for which a single line is too little. Thus Achim Zeman adds a shadow line, which is only an illusory one, because the accompanying black line does not illude shadows from one direction, but runs from different directions and is not uniform at all, for there is no uniform light source either. It is a symbol for the thought pattern of shadows or plasticity in space. Here the wall representation dissolves into multi-perspectivity. Now white lines are added, which one only sees in a suggested way, because they live from line-thick interruptions of the red and black lines. These gaps suddenly make the lines appear as plastic in space. Suddenly, through this perceptual cue, the white surface of the wall that marks the space is drawn into the work. So there is nothing pictorial hanging on the wall, but instead, the whole room becomes the picture, intergrown with each other, and one is also located within it oneself. That is the intended effect, which then leads to a kind of orientation irritation and makes it clearly perceptible again how we perceive, how we look and what we follow. The effect of the space is more easily revealed through the individuals who expose themselves to this experience. For many, the lineament becomes a backdrop, the effect is lost. In this case, Achim Zeman has not, as in other projects that he presents on panels (e.g. Galerie Lausberg), only played on the sides, but also on the ceiling and floor. Each room has different conditions. Here, partition walls placed in front of the windows close the room enveloping it more tightly, the ceiling beams are left free, the lighting fixtures have to be integrated without being a disturbing factor. There are photos of his projects that heighten the suggestion, while the real experience of the room does not quite do that. Normally, you move around. If one’s eyes are fixed, a single eye cannot decide whether a ball is coming towards one or whether a balloon is being blown up. This knowledge comes from the experiments of early perceptual psychology. In everyday life, however, one moves in a controlling manner. Therefore, one only sees three table legs, but knows that there is a fourth because one has already walked around. According to more recent findings, this means that one sees the table in the compilation of all observational data. This results in the knowledge-enriched image of the complete table in the mind, retrieved by segments of it. This is exactly how one goes into the room, looks at individual wall segments, follows lines, sees how they run, where they turn, where they are aligned. Lines turn out to be newly set and interrupted. You don’t get it right when you focus. Only when you go out is an overall picture of the conglomerate form obtained, which, however, has no conclusiveness in the spatial perspective sense, but enables a spatial experience pictorially. One completes all these particles to form an impression that one abstracts spatially, as it surrounds one and cannot be fully grasped, but as a thought construct, as if viewed from the outside. It appears like a set diaphanous scaffolding without the prison bar effect, that would enclose one all around, because the floor and ceiling are included. It is not a cage, but a free open structure that surrounds you. The structure of the room envelope, its materiality and extension become visible; it is not just about a white cube as a presentation space. Without fixed and vanishing points, one stands in the reworked spherical skin of the room. The perception of space, of being a human being in space, becomes a theme and can be felt, as there is no concrete counterpart from which you can distance yourself. One is part of the whole with a loss of distance. It is a space of possibility, an experiment in experience that perhaps leads to a new, unusual way of seeing, which can then be transferred back to everyday life in order to see the surroundings with different eyes and to benefit from them. What concrete art can do is to refine the senses, activate and increase the mind's alertness and the serenity of the spirit. Pure perception is not created solely with optical effects, astonishingly shimmering surfaces or spatial illusions. These pictorial worlds demand slowness, but give hints of speed and expansion into an undefined space through the aligned lines. Nevertheless, the surfaces are brought into dynamic equilibrium with compositional sophistication, of clear intense pictoriality, high material and aesthetic appeal through precision and planning.

Dots become flowing and distorted ovals, sheltering curvatures, the processing methods evoke different spatial expansions and atmospheres, and from the garishly alien colourfulness and the simplicity of the shaped bodies, travel companions develop on the way to pure and concentrated spatial experiences beyond realistic backdrops and everyday habits that otherwise overlay this experience.

 

Dirk Tölke

 

All photographs  by Peter Hinschläger, Aachen