sehfest
Rheinisches LandesMuseum Bonn, 2008
Wenn Achim Zeman sich ein Museum aussucht und sich das Museum den Künstler Achim Zeman erwählt, dann beginnt ein Prozess der Annäherung und der Inbesitznahme. Achim Zeman erkundet den Ort, analysiert die Architektur, fühlt sich ein und beginnt eine Farbpartitur zu denken und zu erfühlen, die dann später in der realisierten Installation den ausgewählten Ort nicht mehr als den erscheinen lässt, der er zuvor war. Dies alles muss ein Museum, respektive eine Museumsleitung wissen und akzeptieren, wenn sie sich auf das Wagnis einer Ausstellungskooperation mit Achim Zeman eingeht. Belohnt wird dieses ‘Risiko’ stets durch ein visuelles Feuerwerk, das weder Besucher noch Bewohner eines Ortes gleichgültig lässt und das die Qualität und Atmosphäre von Architektur und Raum in einer Art und Weise erlebbar macht, die nahezu ‘unbeschreiblich’ ist. Dennoch werde ich hier den Versuch unternehmen, die Umsetzung ‘sehfest’ im Rheinischen LandesMuseum in Bonn in Worte zu kleiden.
Betritt man das Gebäude des Rheinischen LandesMuseum, so erlebt man auf vielen Ebenen versetzt die vielfältige und spannende Geschichte der Menschen am Rhein von der Urzeit bis in die heutigen Tage. Und wenn man den Museumskörper hinaufschreitet, durch die Jahrhunderte hinweg, erreicht man als Letztes im dritten Obergeschoss einen weiten, sehr offenen Raum, in dem sich immer wieder gerade auch zeitgenössische Positionen finden lassen. Die Offenheit und Weite, die das Rheinische Landes-Museum in seinem Obergeschoss entwickelt und die dort über die Dachterrasse quasi in den Himmel hinaus verlängert ist, benutzt Achim Zeman in seiner Installation und setzt sie unter ‘Feuer’.
Die hohe, große Wand, auf die alle Besucher des Museums lange blicken, wenn sie das Haus hinauf über die Treppen begehen, ist mit einer Vielzahl horizontaler roter Streifen bedeckt, die in unterschiedlicher Breite von 0,7 bis 3,0 cm und unterschiedlicher Länge die Wand in ein virulentes, sich ständig bewegendes Sichtfeld verwandeln. Immer wieder scheinen die Linien, die ausnahmslos horizontal verlaufen, sich in vertikal schlängelnden, wellenförmigen Strukturen nach oben zu bewegen, fast als ob man ein Flammenmeer vor Augen hätte. Es handelt sich um fluoreszierende rote Streifen aus Folie, die, mehrfach aufeinandergeklebt, ein Relief bilden auf der Wand, dem Boden und teils auf dem Glas der Decke. Insgesamt hat Achim Zeman über 3 km Bandmaterial verarbeitet. Aber diese – eher technischen – Angaben sind für die Betrachtung letztlich unerheblich. Denn die Wahrnehmung folgt anderen Gesetzmäßigkeiten, was sich sehr viel präziser im Titel der Arbeit wiederfinden lässt.
‘sehfest’ heißt das Werk und suggeriert sowohl die Freude und die explosive Kraft einer visuellen Begeisterung wie auch, phonetisch betrachtet, die Fragestellung, ob man denn mit solch ‘virulenter mächtiger Wandmalerei’ auch so umgehen kann wie mit einem kleinen Sturm auf dem Meer, wenn man sich denn auf dem Wasser in einem Schiff befindet.
Achim Zeman liebt diese Wort- und Gedankenspielereien, die er immer wieder mit seinen Arbeiten verknüpft, sicherlich auch deshalb, weil die Magie von Farbe, Linie und Form, die er in seinen Arbeiten beschwört, Erlebnisse möglich macht, die wir aus unseren optischen Kenntnissen heraus zwar rational erklären, aber nicht wirklich ‘beherrschen’ können. Die Betrachter dieser Malereiattacken befällt ein Gefühl der Ortlosigkeit und der Hilflosigkeit angesichts des visuellen Überfalls von Farbigkeit und erlebt gleichzeitig im Bewusstsein dieser Allmacht von Farbe lebendige Freude und fast kindlichen Spaß. Denn sich in einem gestalteten Raum von Achim Zeman zu bewegen, ist wie ein Auszug in eine Welt voll Fantasie und Erlebnisfähigkeit, in der man sich haltlos auf Farbe einlassen und maßlos in Strukturen und optischen Illusionen verlieren kann.
Das ‘sehfest’, das uns Achim Zeman hier in dieser Installation bereitet, greift mehrfach über die Wand hinaus, die wir als erste erkennen. Wie eine Spiegelung wird die Wandgestaltung auf dem Boden fortgesetzt. Sie .fließt gleichsam von der Wand auf den Boden und in wenigen Elementen sogar auf die gläserne Decke. Hat der Betrachter die Ebene der Ausstellung erreicht, erkennt er, dass er sich nun unmittelbar im Bild befindet – steht er doch direkt auf den roten Streifen, die den Boden bedecken. Hier wir die Betrachtung anstrengend. Das Rot pulsiert, gleißt und wabert auf den Betrachter zu.
Ergießt sich das Rot einmal konkret über den Raum, in dem sich die Linien über die eigentliche Wandscheibe hinaus auf Decke oder Boden ausbreiten, wird eine optische Entgrenzung des Farblichtes wirksam, indem sich dieses Linienmeer von Rot, das das LandesMuseum nun dominiert, auch optisch über das gesamte architektonische Konstrukt ausweitet und die Übergänge der Räume zu einen fließenden Kontinuum werden lässt.
Es ist ein Fest der Sinne, ein Füllhorn der Seherfahrungen, das unendlich viel über Malerei zu berichten weiß, ohne dass Achim Zeman bei der Realisierung dieser Arbeit je einen Pinsel oder eine Tube voll Farbe in die Hand genommen hätte.
Gabriele Uelsberg
When Achim Zeman selects a museum and the museum chooses the artist Achim Zeman, then the process begins of getting nearer and taking posession. Achim Zeman finds out everything about the place, analyzes the architecture, empathizes with it and begins to think and feel out a colour score, which then in the realized installation never leaves the chosen site the same as it appeared before. A museum, and respectively, its administration has to know all this and accept it when it risks working together on a show with Achim Zeman. This risk is always rewarded by a visual .rework that leaves neither the visitors nor the inhabitants of a place indifferent, and lets the quality and atmosphere of the architecture and space be experienced, in a way that is almost indescribable. Still, I will undertake to clothe the transformation ‘sehfest’ in words here.
When you enter the building of the Rheinisches LandesMuseum, you experience the multifarious and exciting history of the people on the Rhine on many levels, from prehistoric times to the present. And when you stride up through the body of the museum, passing through the centuries, you at last get to a wide, very open room on the third floor, in which, also contemporary positions, again and again, are to be found now. The openness and breadth, which the Rheinisches LandesMuseum develops on its upper floor, and continues out onto its roof terrace, extended out to the sky, so to speak, Achim Zeman uses in his installation and lights a .re under it.
The long, high wall, that all the visitors look at along its length when they walk up the steps to the top part of the building, is covered with a great many horizontal red stripes, in different widths from 0.7 to 3 cm, and in different lengths change the wall into a virulent, constantly-moving field of vision. Again and again the lines, running horizontally without exception, seem to wind in vertical wavelike structures moving upwards, almost as if you had a sea of flames before your eyes. This is accomplished with fluorescent strips of red plastic foil, adhered to, and overlapping each other several times, forming a relief on the wall, the floor and in part, on the glass of the ceiling. In total, Achim Zeman used up over 3 km in rolls of material. But this – more technical – data is in the end insignificant. For one’s perception follows other laws, that can be rediscovered far more precisely in the title of the piece.
‘sehfest’ is the name of the work, that suggests the joy and the explosive power of visual excitement, as well as phonetically considered the question of whether you can deal with such ‘virulently powerful wall painting’ as you would with a small storm at sea, when you happen to be on the water in a ship.
Achim Zeman loves these games of words and ideas, that he repeatedly links to his works, surely also because the magic of the colour, line and form that he evokes in his work make experiences possible that, with our optical knowledge, we can rationally explain, but not really master. The observer of these painterly attacks is struck by a feeling of placelessness and helplessness in the face of the visual assaults of colour, and experiences at the same time the ebullient joy of the all-powerfulness of colour in his consciousness, and almost childlike delight. For to move in a space created by Achim Zeman is like an excursion in a world full of fantasy and rich in experience, in which you can let yourself sink into the colour without stopping, and lose yourself totally in structures and optical illusions.
The ‘sehfest’ that Achim Zeman creates in this installation reaches across the wall in more ways than we at first recognise. Like a mirror reflection the wall creation continues on the floor. It flows evenly from the wall to the floor, and even onto the glass ceiling with a few elements. When the observer has reached the level of the show, he realizes he is directly inside the painting – he is, after all, standing on the red stripes that cover the floor. Here, observation becomes difficult. The red pulses at, slides over and flickers at the observer.
Once the red has literally poured over the room, in that the lines spread out beyond the actual screen of the wall to the ceiling or the floor, the optical unboundedness of the coloured light begins to take effect; the sea of lines of red that now dominate the LandesMuseum now spread optically over the whole architectonic construct, letting the passages between the rooms be a .owing continuum.
It is a feast of the senses, a cornucopia of visual experiences, that knows how to report infinitely much about painting, without Achim Zeman’s using any brush or taking any tube of colour in his hand.
Gabriele Uelsberg