nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern | 2006 / Folie | Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach

nah und fern

Städtischen Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach, 2006

 

Farb-Orte

 

Der Künstler Achim Zeman gehört zu jenen jüngeren Talenten, deren überzeugende und eigenwillige künstlerische Entwicklung die Städtische Galerie Villa Zanders bereits über einen längeren Zeitraum aufmerksam verfolgt. Die Wertschätzung, die seiner konsequenten Arbeit anhaltend entgegengebracht wird, fand in mehreren Sammlungsankäufen ihren Ausdruck und schließlich auch in der Einladung, sich an Ausstellungsprojekten mit raumgreifenden Installationen zu beteiligen.

 

Achim Zeman schuf für die zur Jahrtausendwende veranstaltete Ausstellung „Zeiträume“ eine aufwändige Arbeit, die die Wände eines Raumes umlaufend mit einem Zeichencode überzog. In mehreren Zeilen angeordnete Punkte und Striche formieren sich zu einem rhythmischen Gefüge ohne Anfang und Ende. Diese graphische Struktur geht von einem Zahlensystem, dem Binärcode aus. Die sich in Augenhöhe verdichtenden und zugleich größer werdenden Zeichengruppen verlieren nach oben und unten an Gewicht und Dichte, um schließlich fast gänzlich zu entschwinden. Man könnte von einem Kommen und Gehen sprechen, wobei uns die „Gegenwart“ in der Mitte gewichtiger und damit klarer lesbar entgegentritt als „Vergangenheit“ und „Zukunft“, in die sie unlöslich eingebettet ist. Die Sprache der Zeichen transponiert – ohne dass wir sie lesen könnten – eine Botschaft. Sie beinhaltet einen Text über die Eigenschaften von Zeit, wodurch sich zwei Erlebnisebenen – die visuell-emotionale und die literarisch-intellektuelle – verschränken. Diese Fusion geschieht in einem künstlerisch neu definierten Raum, dessen Materialität durch die schwebende Aura des aus sich selbst heraus wie pure Energie leuchtenden Zeichenhorizonts weitgehend aufgehoben zu sein scheint. Der Raum verändert seinen Charakter und gewinnt eine neue Qualität.

Räume durch künstlerische Eingriffe neu zu definieren oder auch deren besondere Eigenschaften, Funktionen oder auch Traditionen zu akzentuieren und erlebbar zu machen, ist für Achim Zeman eine ständige Herausforderung, die selbst die Bewältigung größter Dimensionen nicht scheut. Ob es sich dabei um ein weitläufiges Theaterfoyer, das Treppenhaus eines mehrgeschossigen Hauses oder die Eisfläche eines Eisstadions handelt – Zemans Gestaltungswille schreckt vor derartigen Großprojekten nicht zurück, trotz des außerordentlichen Arbeitsaufwandes und des Wissens, dass seinen Projekten zumeist nur eine kurze, im Extremfall nur wenige Stunden anhaltende Lebensdauer beschieden ist. Das intensive, gelegentlich bis an den Rand der Erschöpfung getriebene Arbeiten im und mit dem Raum ist zu seinem eigentlichen, unverwechselbaren Markenzeichen geworden. Verlassen schon seine Bilder durch die Verwendung außergewöhnlicher, meist industriell hergestellter Materialen die Konvention des herkömmlichen Tafelbildes, so schaffen die von ihm gestalteten Farb-Orte künstlerische Ereignisräume, von denen eine große Faszination ausgeht.

 

Im Jahr 2006 richtete ihm die Städtische Galerie Villa Zanders eine größere Einzelausstellung aus. Sie trug den Titel „Horizonte“ und war auf der Beletage der Galerie zu sehen, einem gründerzeitlichen Villenbau, dessen großbürgerliches Ambiente sich in Teilen erhalten hat und Zeman zu zwei Installationen inspirierte. Sie füllten drei Räume, während in fünf Räumen Tafelbilder zu sehen waren. Die Intention des Künstlers bestand darin, mit der Gegenüberstellung von raumgreifender Malerei und auf die Fläche bezogenen Bildern ein sich wechselseitig befruchtendes Spektrum seines Schaffens vorzustellen.

 

Beide Installationen thematisierten die historischen und architektonischen Gegebenheiten des Gebäudes. Die Installation „Zerstreut“ bildete gewissermaßen das Entrée der Ausstellung im ersten Stockwerk:

 

Über eine großzügige Holztreppe erreicht man eine zentral gelegene, annähernd quadratische Halle, von der aus mehrere Räume abgehen. Antikisierende Dekorationselemente bestimmen den klassizistischen Raum. In Nischen aufgestellte Gipsabgüsse antiker Figuren bilden im Zusammenspiel mit Pilastern, kannelierten Säulen und schweren Stuckprofilen an der Decke eine festliche Atmosphäre, die durch den die Raummitte markierenden Kristalllüster noch gesteigert wird. Im Glanz des Stabparketts spiegelt sich die symmetrisch angelegte Innenarchitektur.

 

Zeman reagiert auf diese architektonische Ausgangssituation, indem er das Maß eines einzelnen Parkettstabs zum Modul seiner Installation erhebt. Er übernimmt das Format für rechteckige blaue Folienelemente, die er in unterschiedlicher Dichte auf den Boden klebt. Die Konzentration der sich z. T. überlagernden Elemente ist in der Raummitte unter dem Kronleuchter am größten. Hier liegt gewissermaßen das energetische Zentrum der Arbeit, während ihre Anzahl zu den Rändern hin abnimmt. Dabei verlassen einzelne Elemente die Zweidimensionalität des Bodens und erobern auf den Wandflächen die dritte Dimension. Es wird eine optische Verklammerung von Boden und Wand angedeutet, die im Widerspruch zum vorgegebenen Architektursystem steht. In diesem ist alles additiv, statisch und hierarchisch geordnet. Die blauen Rechtecke sind zwar auch einer Ordnung unterworfen, denn sie scheinen einer zentrifugalen Kraft zu folgen oder umgekehrt sich zur Mitte hin zu bewegen, um sich dort zu konzentrieren. Aber sie wirken dabei dynamisch, setzen der starren Ordnung ihre eigene „Un“-Ordnung entgegen, die durch das sich wechselseitige Überschneiden der blauen Einzelformen noch verstärkt wird. Es gibt helle und dunkle, matte und glänzende, transparente und opake Rechtecke, wodurch ein bewegtes Wechselspiel von Nähe und Ferne, Greifbarkeit und Flüchtigkeit entsteht. Und indem die Farbe der Architektur Widerworte gibt und selbstbewusst auf ihrem eigenen Recht besteht, macht sie nicht nur deren Eigenschaften offenbar, sondern auch ihr eigenes raum- definierendes Potential.

 

Auch in der Installation „Nah und fern“ setzt sich Achim Zeman mit Ordnungsprinzipien und Wahrnehmungsverschiebungen auseinander:

 

Zwei nebeneinander liegende Räume der Villa Zanders, die gemeinsam eine Flucht bilden, nehmen die Farbigkeit des so genannten „Roten Salons“ im Erdgeschoß auf. Dieser Salon hat seinen Namen von den roten Tapeten, mit denen er bei einer vor dem Ersten Weltkrieg erfolgten „Modernisierung“ im Stil des Louis-seize ausgestattet worden war. In diesem noblen Ambiente speiste dereinst die Fabrikantenfamilie Zanders.

 

Die Wände beider Räume wurden von Achim Zeman ganzflächig mit roter Folie beklebt und durch das Positiv-Negativ-Prinzip miteinander verbunden. In einem der Raum erscheint die ausgeschnittene, horizontal verlaufende Linienstruktur weiß, wobei die roten Folienbahnen flächig stehen geblieben sind; im Nachbarraum ist es umgekehrt, indem nur rote Linien auf dem weißen Grund der Wand verblieben. Zeman fühlt sich durch dieses Arrangement an den Charakter von Tapisserien erinnert, wie sie in herrschaftlichen Häusern früher üblich waren. Für ihn „…spiegelt die Installation die ursprüngliche Ausstattung der Villa Zanders wider und stellt diese mittels einfacher Linienführungen in einen zeitgenössischen Kontext“. In der Tat wird wohl jeder Besucher diese Assoziation haben, erinnern doch die horizontalen Linien nicht zuletzt an textile Strukturen wie den horizontalen Schussfäden eines Gewebes.

 

Entscheidender als diese Reminiszenz ist jedoch, wie die Farbe die Raumwirkung beeinflusst. Das Rot verändert ihn dergestalt, dass die mit dem Raum traditionell verbundenen Vorstellungen von Materialität, Stabilität und Begrenzung aufgehoben scheinen. Das Rot reflektiert und erfüllt den ganzen Raum, auch jene Teile, die – wie die Decke – nicht mit Folie beklebt sind. Er verliert seine Identität, verändert sich in dem Maße, in dem sich unsere Wahrnehmung verändert. Die an kantige Linien eines Holzschnittes erinnernden weißen Ausschnitte funktionieren erstaunlicher Weise nicht als die Wand sichtbar machende Ausschnitte, also als Grenzziehungen. Dank ihres An- und Abschwellens und ihrer meist weich fließenden Schwünge erzeugen sie vielmehr die Vorstellung von Weite und Offenheit, von Landschaft. Indem ihre Lagen in Augenhöhe dichter gefügt sind, wird der Gedanke an eine Horizontlinie gefördert und der Imagination viel Raum gegeben.

 

Beide Räume bilden zwar konzeptionell eine Einheit und ergänzen sich wie die Teile eines Steckspiels. Doch erscheint der weiße (negative) Raum, in dem die roten Linien auf der Wandfläche stehen, ganz anders als sein rotes (positives) Pendant. Die Linien wirken hier ungleich energischer, betonen eindeutiger die Wandflächen als unaufweichbare Raumgrenzen und machen diese trotz des weißen, die Materialität zurückdrängenden Anstrichs spürbar.

 

Die Erfahrungen und Einsichten, die Achim Zemans Installationen eröffnen, sind überraschend und machen ihre Betrachtung zum Erlebnis. Sie demonstrieren bei großer formaler Einfachheit, in wie weit Farbe den Raum und unsere Wahrnehmung zu beeinflussen vermag. Sie führen uns vor Augen, auf welche Weise und in welchem Umfang Farbe Orte bestimmt.

 

Wolfgang Vomm

 

 

 

 

 

 

Places of Colour

 

The artist Achim Zeman is one of those younger talents whose development, both highly original and convincing, the Städtische Galerie Villa Zanders has been following attentively for some time. The measure of quality and determination he has continually brought to his work has found expression in acquisitions in several collections, and, lately in installations executed by invitation for exhibition projects involving space.

 

For the millenium show ‘Zeiträume’ Achim Zeman created an ambitious work with a code of signs, covering and running all around the walls of the room. Several lines of ordered small ovals and linear strokes form a rhythmic structure without beginning or end. This graphic structure stems from a number system in binary code. The groups of signs that become larger and denser at eye level diminish in weight and density above and below, and in the end almost vanish. One could talk of coming and going, where the ‘present’ in the middle is weightier, and hence more clearly legible in opposition to the ‘past’ and ‘future’, in which it is indissolubly embedded. The language of the sign transponds – without our being able to read it – a message. It contains a text about the qualities of time, in which two levels of experience – the visible/emotional and the literary/intellectual are intertwined. This fusion takes place in a space defined anew by the art; its materiality seems to hover, raised far above itself in an aura of the pure energy of a glowing horizon of signs. The room changes its character and gains a new quality.

 

Newly defining rooms by artistic intervention or accentuating their special qualities, functions or even traditions, so they can be experienced, is a constant challenge for Achim Zeman, who does not even shy away from taking on large dimensions. Whether it be an expansive theater foyer, the stairwell of a multi-storey building or the ice of a skating rink in a stadium, Zeman’s will-to-form is not scared off by this kind of large-scale project, despite the extraordinary amount of work required and the knowledge that his project in most cases is destined to last only a short time, a few hours only in extreme cases. His intensive work in and with space, sometimes driven to the edge of exhaustion, has become his own unmistakable stamp. Just as his paintings have departed from the usual easel-painting convention, as he uses unusual, usually industrially-made materials, so also do his ‘places of colour’ form rooms of events, holding great fascination for the viewer.

 

In 2006 the Städtische Galerie Villa Zanders gave him a larger one-person show. Titled ‘Horizonte’, it could be seen on the second floor of the gallery, a villa from Germany’s industrial revolution, whose patrician ambiance has in some parts remained, inspiring Zeman to do two installations. They filled three rooms while his easel paintings were on view in five additional rooms. With his creation, the artist intended to set up a spectrum of fruitful interaction, with paintings spread out into space opposite paintings on a flat surface.

 

Both installations took the historical and architectonic features of the building as a starting point. The installation ‘Zerstreut’ to some degree formed an entryway to the show, also on the second floor.

 

Going up an expansive wooden staircase, you reach a large central room, nearly square, leading off to several other rooms. Antique-like decorative elements define a neo-classical space. The interplay of plaster casts of antique figures placed in niches, with pilasters, fluted columns and heavy stucco mouldings on the ceiling make for a festive atmosphere, heightened even more by the luster of crystal in the middle. The symmetrical interior architecture is reflected in the shiny parquet floor.

 

Zeman reacts to this architecture by taking the size of the individual parquet as a module for his installation, using this format for rectilinear elements of blue plastic foil, adhering them in varying density to the floor. The concentration of the overlay of these elements is greatest in the middle under the chandelier. This is in a way the energetic center of the piece, as the number of elements diminishes toward the edges. Some individual elements depart from the two-dimensionality of the floor and conquer the third dimension on the wall surfaces. An optical clamping of wall to floor is implied, contradicting the architectural given. This is all additive, static and hierarchically-ordered. Although the blue right-angles are also ordered, since they seem to follow a centrifugal force or its opposite, by moving toward the middle and concentrating there, their effect is dynamic, opposing the stiff order with their own ‘disorder’, heightened by the mutual interaction of the individual blue forms. There are light and dark, matte and shiny, and transparent and opaque right angles, through which a moving interplay of near and far, graspable and elusive comes into being. And because the colour of the architecture strikes an opposing note, consciously insisting on its own rightness, it does not only make its own qualities apparent, but also its own space-defining potential.

 

Also in the installation ‘nah und Fern’ Achim Zeman deals with ordering principles and delayed perception. Two adjacent rooms of Villa Zanders that together form a suite take up the colour of the so-called ‘Red Salon’ on the ground floor below. This salon gets its name from the red wallpaper in which it was covered in a ‘modernisation’ in the style of Louis XVI before the first World War. The Zanders family of manufacturing entrepreneurs once dined in this noble ambiance.

 

Achim Zeman adhered red plastic foil to the whole surface of the walls in both rooms on the floor above, connecting them by the positive-negative principle. In one room the cut-out, running horizontal-line structure appeared white, between which the red paths of thin plastic remained flat. In the adjacent room it was the opposite, in that only red lines remained on the white ground of the wall. With this arrangement, Zeman feels reminded of the character of tapestry, formerly common in lordly mansions. For him, “the installation reflects the original interior of the Villa Zanders and places it into a contemporary context by means of simple guiding lines.” Indeed every single visitor may well have this association, reminded before long of textile structures like the warp of a weaving.

 

However, the way the colour affects the space is more decisive than this reminiscence. The red changes the form of the room, that seemed to emphasize the tradition-bound ideas of materiality, stability and boundary. The red reflects and fills the whole room, also those parts like the ceiling with no foil adhered to them. The room loses its identity, changes in size, because our perception of it changes. The white cut-out lines, reminding one of a woodcut function, surprisingly, not like cuts making the wall visible and laying out their boundary. Thanks to their billowing out and back and their mostly gently-flowing swings they achieve a new extension and openness, of landscape. Their placements at eye-level are structured closer together, and lend support to the idea of a horizon line, offering much space for the imagination.

 

It is true that both rooms form a conceptual unity, looking at first like parts of a positive-negative puzzle, in which the pieces in one room look like they exactly fill the gaps in the other. However, the white (negative) room, where the red lines overlay the wall appears very different from its red (positive) counterpart. The lines have the effect of being unequally energetic, and emphasise the wall surfaces more clearly as unrelenting boundaries of the room, and make, despite the white, the materiality of the paint pushing back against the wall tangible.

 

The discoveries and insights that Achim Zeman’s installations open up are surprising, and make viewing them a real experience. They show with great formal simplicity how much colour may influence space and our perception. They show before our very eyes in what ways and to what extent colours can determine places.

 

Wolfgang Vomm